Liebe Eltern und Großeltern, liebe Gäste
Liebe Mädchen und Jungen…,
wir haben heute die besondere Aufgabe, euch mit ein paar Worten auf einem so wichtigen Weg zu begleiten.
Dazu haben wir euch eine Frage mitgebracht. Diese Frage ist sehr einfach. Jeder Mensch beantwortet sie auf seine Weise, auch wenn er nicht über sie nachdenkt. Sie begleitet uns durchs Leben. Aber Vorsicht, an dieser Frage ist etwas falsch, genauer gesagt ein Wort. Und dieses Wort, durch ein richtiges ersetzt, verändert alles. Ihr werdet beim Hören sehr schnell feststellen, was hier falsch läuft.
Hier ist die einfache aber falsche Frage, sie heißt: Wie komme ich durchs Leben?
Es gibt drei Teilantworten, die das Wesentliche benennen.
Ich komme durchs Leben mit Beziehungen. Früher brauchte man Beziehungen, wenn man Zement zum Bauen brauchte. Heute braucht man Beziehungen nicht unbedingt für Baumaterial, aber für eine gute Lehrstelle oder einen begehrten Arbeitsplatz mit gutem Lohn können Beziehungen sehr nützlich sein: Eltern mit Einfluss, ein Freund, der seinen Vorstand oder Betriebschef von unserer Tüchtigkeit überzeugen kann oder jemanden aus der lokalen Politik kennen. Beziehungen sind das halbe Leben.
Ich komme durchs Leben mit Kapital. In diesem Fall mit Geld. Wir hören immer wieder von jungen Leuten, dass sie vor allem viel Geld haben wollen. Wer Geld hat, ist frei – glauben wir nur allzu oft. Mit Geld kann man sich alles kaufen. Zum Reisen braucht es offene Grenzen und Geld. Wer Geld hat, kann sich gegen Kaution aus dem Gefängnis freikaufen. Wer Geld hat, ist immer irgendwie aus dem Schneider. Ohne Moos nichts los. So urteilt ihr und ihr habt Recht.
Ich komme durchs Leben mit Macht. In jedem von uns, in jedem von euch, steckt doch der Wunsch nach Macht. Eltern, Lehrer, Pfarrer, Politiker, Bankdirektoren, alle haben sie Macht. Und 
Macht macht was, mit uns und anderen. An Macht kann man sich berauschen. Manche wollen Macht um der Macht willen, weil sie vielleicht mal viel Ohnmacht erlebt haben. Und wir denken, ihr habt alle schon mal davon geträumt, über eure Eltern oder über uns, eure Lehrer, Macht zu haben. Alles zu wissen und einmal mit dem Lehrer ins Kräftemessen gehen!? Macht macht Spaß. Macht verändert uns.
Das sind die drei Teilantworten auf die Frage: Wie komme ich durchs Leben? Aber was ist falsch an der Frage?
Die richtige Frage, die nun alles verändert, heißt: Wie komme ich ins Leben?
Ich komme ins Leben durch Beziehungen. Jeder hat eine Beziehung zu sich selbst. Wenn Menschen euch genährt und geliebt haben, dann ist in euch eine gute Basis angelegt, die euch ein Gefühl dafür gibt, dass ihr o.k. seid. Auch wenn die Nase vielleicht krumm, man nicht immer gut gelaunt oder mal neben der Spur ist – ihr dürft euch als Mensch wohlfühlen.
Ihr habt auch eine Beziehung zu euren Nächsten. Alle haben das gleiche Recht wie ihr, geliebt zu sein, weil sie da sind, weil sie Mensch sind. Menschen, die sich selbst mögen, können dem anderen
dieses Recht ohne Neid und Angst einräumen, sie können ihn annehmen.
Ich komme ins Leben mit Kapital, mit einer Kapitalanlage der besonderen Art. Diese soll Zinsen tragen, soll Ertrag bringen. Wie das geschieht? Sehr einfach: Jedes freundliche Wort, jede Hilfeleistung, ein Verzicht für andere vielleicht, jedes Bewahren schöner Momente, jedes Eintreten gegen Ungerechtigkeit kommt der Vermehrung des Kapitals, das euch als Mensch gegeben ist zu Gute. Wie viel Geld ihr auch immer verdienen werdet ist nicht so entscheidend. Ob ihr in einer Villa wohnt oder in einer Wohnung. Die Frage ist nicht, wie ihr wohnt, sondern was in euch wohnt.
Ich komme ins Leben mit Macht. Nicht mächtige, sondern bevollmächtigte Menschen braucht unser Land. Sie unterscheiden sich dadurch, dass die Einen Macht wollen um ihrer selbst und um der Macht willen, die Anderen aber im Auftrag, stellvertretend zu handeln. Ihre Macht ist geborgt und um der Menschen willen da.
Die größte Macht ist die Liebe. Liebe ist die Macht, mit der ihr ins Leben kommt. Wenn Menschen sich lieben, merkt man das. Daran werdet ihr merken, ob ihr dabei seid, ins Leben zu kommen oder ob ihr nur so durchkommt.
Ihr müsst euch entscheiden, welche Frage für euer Leben gültig sein soll: Wie komme ich durchs Leben oder wie komme ich ins Leben? Durchs Leben kommen, ist wie das Fahren in eine Sackgasse, man fährt vielleicht mit viel Geld und Karacho auf der Überholspur des Lebens, dann ist Schluss und der Vorhang fällt.
Ins Leben kommen, ist wie das Fahren in eine Einbahnstraße. Ständig öffnet sie sich zu neuen Plätzen, Straßen, Überraschungen warten. Das Ende ist offen. Ein Geheimnis bleibt. Das größte Geheimnis dieser Welt ist die Liebe. Macht euch in ihrem Namen auf ins Leben.
Geht selbstbe
wusst mit erhobenem Haupt durch das Leben. Lasst euch den Wind ins Gesicht blasen und von der Sonne wärmen. Traut euch zu lachen, wenn euch zum Lachen ist und zu weinen, wenn Trauer euer Herz berührt. Mischt euch ein, wenn Unrecht geschieht und nutzt eure Zeit.
Es gibt nichts Besseres auf dieser Welt als euch, aber auch nichts Schlechteres als Menschen, die vergessen, dass dies für alle Menschen gilt.
Wir wünschen euch vor allem die Kraft zu lieben und das Glück geliebt zu werden.
In diesem Sinne wünschen wir euch einen wunderbaren Tag im Kreise eurer Lieben.
(Anja Kinzel, Hilla Pedersen)
Anmerkung: Das Gruppenfoto zu Beginn dieses Artikels wurde uns freundlicherweise von dem Fotografen CG-VITUS.de – John Herrenkind zur Verfügung gestellt. Neben vielen anderen Bildern von der Jugendweihe in Graal-Müritz kann es hier bestellt werden.
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