Ich packe meinen Koffer …

geschichte 1Ich packe meinen Koffer und nehme mit…. Wer kennt nicht dieses Spiel und ärgert sich, wenn er nach kurzer Zeit aufgeben muss, da er sich nicht mehr erinnert…

Erinnern und verstehen hieß es am Montag, dem 09.03.2015, in der Klasse 10 A, die einen Zeitzeugen begrüßte. Die Vertreibung aus der Heimat nach der Potsdamer Konferenz, aber auch der Neuanfang in Rostock, standen im Mittelpunkt der Gesprächsrunde.

 „1945 wurden wir aus unserem Haus vertrieben. Wir hatten eine Stunde Zeit, einige Sachen zusammenzupacken. Was sollte man mitnehmen? Kleidung, ein Foto oder doch lieber etwas zu essen? Eine Stunde – dann mussten wir den Schlüssel auf den Tisch legen und unser Elternhaus verlassen… Zunächst waren wir noch bei Verwandten. Wir wussten jedoch, dass wir über kurz oder lang auch hier weg mussten. Bis 1946 lebten wir dann auf einem Gut, wo meine Eltern arbeiteten. Dann ging es mit der Bahn in Viehtransportern in die Fremde. Keiner wusste, wohin wir kamen, ich welche Richtung wir fuhren. Irgendwann kamen wir dann in Rostock an. Die Stadt war völlig zerstört. Zunächst wurden wir in einem Durchgangslager untergebracht, bis wir in einem kleinen Zimmer, vielleicht 12 m2, nicht einmal so groß wie vielleicht euer Kinderzimmer….“ So begannen die Erzählungen vom Verlust der Heimat bis zum Neuanfang in der Fremde.

Neben den eindrucksvollen Schilderungen über das Leben, erfuhren die Jugendlichen aus erster Hand, was die Unterschiede zwischen Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlung, Umsiedlung und Ausweisung sind.

„Die erste Zeit in Rostock war darauf gerichtet, Nahrung und wichtige Dinge für den Lebensunterhalt zu beschaffen. Das begann beim Ährensammeln nach der Maht auf dem Feld, dem Nachlesen von Kartoffeln und reichte bis zur Suche nach Stahlhelmen, Gasmaskenbehältern und ähnlichen Gerätschaften. Für diese konnten Töpfe, Kannen und Siebe eingetauscht werden. Nachdem mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte, ging alles aufwärts…..“

Die Familie hatte in Rostock eine neue Heimat gefunden und sich mit viel Mut, Kraft und Überlebenswillen eine neue Existenz aufgebaut. „Wir waren uns sicher, dass so etwas nie wieder in Europa passieren würde. Wir haben uns geirrt.“geschichte 2

Aufmerksame, manchmal fassungslose Gesichter, manchmal ein Schmunzeln, vorsichtige Fragen an den Gesprächspartner.

Zeitzeugen haben einen unschätzbaren Wert im Verstehen, nicht Vergessen, im Erinnern an eine Zeit, die wir nur aus Büchern, Filmen oder dem Unterricht kennen. Es geht nicht um Mitleid, es geht um das Verstehen, um das Begreifen, dass so etwas nie wieder passieren darf. „Mit ständigem Fortschritt steigt auch der Grad an Grausamkeiten, die wir uns antun.“ (Schüler der 10A).

Einen großen Dank an unseren Gast, der uns anschaulich und eindrucksvoll seinen Lebensweg gezeichnet hat und uns gezeigt hat, dass wenig manches Mal ganz schön viel sein kann. Danke, dass Sie unsere Fragen beantwortet und uns Einblicke in Ihre Vergangenheit gegeben haben.


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